Bis dahin wollte ich mich in eine der entlegensten Regionen der Erde tief im Inneren der Insel Neuguinea wagen, wohin bisher nur wenige Ausläufer der Zivilisation vorgedrungen waren. Die Reise nach Irian Jaya, so die offizielle Bezeichnung des indonesischen Westteils der Insel, war langwierig und beschwerlich. Am Samstagabend flog ich erst nach Makassar auf der Insel Sulawesi, wo ich gegen acht Uhr abends ankam und bis drei Uhr am nächsten Morgen auf meinen Weiterflug warten musste. Zum Glück war dieser Flughafen einer der modernsten in ganz Indonesien und bot eine ausreichende Anzahl an Sitzbänken, auf denen einigermaßen unbequem geschlafen werden konnte.
Als ich dann um acht Uhr endlich in Jayapura im Norden von Westpapua landete, betrat ich eine völlig andere Welt im Vergleich mit dem Rest von Indonesien. Hier war keine Spur mehr von Asien zu erkennen, die Menschen erinnerten viel mehr an die Ureinwohner Australiens oder an Afrikaner. Das Einchecken für den Weiterflug nach Wamena gestaltete sich äußerst abenteuerlich, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass die Reiseagentur extra einen Mitarbeiter schickte, der das für mich erledigte. Am Schalter der Fluggesellschaft Trigana, man musste einfach wissen welcher Schalter das war, drängte sich eine große Traube von Reisewilligen, so als ob es keine gebuchten Plätze gegeben hätte. Jeder, der auch nur irgendwie die Möglichkeit dazu hatte, gab sein Ticket von hinten an die Angestellten vor, die dort bunt durcheinander werkelten. Diese bearbeiteten in aller Ruhe einen Vorgang nach dem anderen, stellten die Bordkarten aus und versuchten dann laut rufend den zugehörigen Fluggast zu finden. Dieser hatte jetzt sein Gepäck nach vorne zu bringen, was wegen der drängelnden Wartenden nicht immer einfach war, was aber doch ohne Hektik für jedes einzelne Gepäckstück bewerkstelligt wurde. Auf meinem Weg zum Abfluggate passierte ich eine Sicherheitskontrolle, von der ich nicht den Eindruck hatte, dass sie sorgfältig geprüft hätte, was sich aber als ein Irrtum herausstellte. Als wir nämlich gerade ins Flugzeug einsteigen wollten, kamen plötzlich die Kontrolleure angerannt und gingen zielgerichtet auf einen Mitreisenden zu, mit dem sie sofort laut diskutierten. Nach kurzer Zeit zuckte der Mann mit den Schultern und überreichte den Sicherheitsleuten eine große Pistole, die er in seinem Hosenbund getragen hatte. Sie hatten also doch aufgepasst. Die Waffe wurde in Papier gewickelt und der Stewardess zur Verwahrung während des Fluges gegeben, so etwas schien dort häufiger vorzukommen und keine weiteren Folgen zu haben.
Der knapp einstündige Flug nach Wamena führte über endlosen undurchdringlichen Dschungel, in dem es keine Straßen und keine menschlichen Ansiedlungen gab. Am Flughafen wurde ich von meinem Guide Jonas erwartet, der für die nächsten Tage mein einziger wenigstens einigermaßen englisch verstehender Ansprechpartner sein sollte. Nach kurzer Fahrt durch die kleine Stadt, die als letzte Versorgungsstation vor der Wildnis bezeichnet wurde, erreichten wir den Baliemfluss und eine schwer beschädigte Brücke, die nur zu Fuß überquert werden konnte.
Auf der anderen Seite des Flusses erwarteten uns unser Koch und die drei Träger, die sich während der Wanderung um uns kümmern sollten. Sie hatten die gesamte Verpflegung und Ausrüstung schon bei sich, so dass wir ohne weitere Verzögerung eines der bereitstehenden Taxis beladen konnten. Die Bezeichnung „Taxi“ war in diesem Fall natürlich etwas irreführend, handelte es sich doch eher um ein regelrecht schrottreifes Fahrzeug unbekannter Marke, das nur widerwillig seinen Dienst verrichtete, in jeder Kurve furchterregend quietschte und schaukelte und dessen Bremsen wohl keine härtere Beanspruchung mehr überstanden hätten. Die Innenverkleidung existierte nicht mehr, stattdessen gab es glühend heißes Blech, die Fenster waren ohne Verglasung, aber die Musikanlage funktionierte noch, auch hier wurden Prioritäten gesetzt.
Mit dem Auto fuhren wir nur bis zum nächsten Fluss, der die ehemals vorhandene Brücke beim letzten Hochwasser mit sich gerissen hatte. So mussten wir zu Fuß über einen notdürftig gesicherten Baumstamm ans andere Ufer, von wo uns das nächste Auto bis zur nächsten eingestürzten Brücke brachte. So wurde auch klar, warum die Taxis in einem so erbarmungswürdigen Zustand waren. Immerhin waren sie seit Jahren zwischen den unpassierbaren Flussläufen gefangen und konnten hier verständlicherweise nur notdürftig geflickt werden. Für den örtlichen Pendelverkehr wurden sie weiterhin so lange genutzt, bis sie auseinander brachen.
Nach dem dritten Abschnitt endete die Straße beim Ort Kurima, von wo nur noch schmale Pfade weiter in das Tal und in die angrenzenden Berge führten. Wir wanderten in stetigem Auf und Ab an der Bergflanke entlang, wobei wir immer mehr an Höhe gewannen. Anstrengend und schwierig waren dabei besonders die Abschnitte, die wegen der vielen freilaufenden Schweine aus tiefem, intensiv riechendem Schlamm bestanden und daher sehr rutschig waren.
Bei einem kleinen, aus runden Holzhütten bestehenden Dorf, überquerten wir eine große, geneigte Wiese, die früher als Landepiste für Propellerflugzeuge genutzt worden war, ich war froh, dass es inzwischen den ausgebauten Flugplatz in Wamena gab und mir das zweifelhafte Vergnügen eines Anflugs gegen den Berg erspart geblieben war. So erreichten wir nach vier Stunden insgesamt ziemlich entspannter Wanderung bei einsetzendem leichtem Regen unseren Zielort Kilise, der einen neu gebauten, etwas abseits liegenden Gästebereich bot. Hier fanden wir fünf runde Holzhütten, jede groß genug um vier Gäste aufnehmen zu können, zwei Küchenhäuser mit offenen Feuerstellen und ein Gemeinschaftshaus mit Holzfußboden und einem Tisch. Alle Hütten waren mit Stroh gedeckt, durch das auch der Rauch der Küchenhäuser abziehen musste, Kamine gab es nämlich keine. Als sanitäre Anlagen dienten ein sehr einfaches Klohäuschen und eine Luxus-Duschhütte. Ein kleiner Bach war so am Berghang umgeleitet worden, dass er oben in die Hütte hinein floss und auf lose Steine am Boden hinabstürzte, so dass man hervorragend duschen konnte.
In meiner Hütte lagen vier dünne Schaumgummimatratzen auf dem Fußboden, von denen ich mehrere aufeinander legen konnte und dadurch eine einigermaßen bequeme Unterlage für diese Nacht hatte. Weitere Einrichtungsgegenstände gab es nicht, was leicht zu verstehen war, da ja jedes einzelne Stück von Kiruma oder gar von Wamena zu Fuß bis in die Dörfer getragen werden musste. Wie auch an den Folgetagen gab es schon um 17 Uhr Abendessen, so dass Koch und Träger noch Gelegenheit hatten, alles vor Einbruch der Dunkelheit wegzuräumen. Durch die unmittelbare Nähe zum Äquator ging der Tag ziemlich genau von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends ohne die bei uns gewohnten Dämmerungsphasen. Wegen der langen Anreise, die die ganze vorhergehende Nacht gedauert hatte und der direkt darauf folgenden Wanderung war mir das an diesem Tag gerade recht, um früh schlafen zu gehen. Durch die Höhenlage, wir befanden uns inzwischen bei fast 2000 m, wurde es in der Nacht recht frisch und ich war froh, einen guten Schlafsack mitgenommen zu haben.
Als ich am nächsten Morgen aus meiner Hütte krabbelte, breitete gerade einer der Dorfbewohner einige selbst hergestellte Souvenirs für die Übernachtungsgäste aus. Wie es für Männer der Dani-Stämme traditionell üblich war, war auch dieser Eingeborene mit Ausnahme seines aus einer Kürbishülse bestehenden Penisfutterals völlig nackt. Obwohl ich schon vorher wusste, dass das die „Bekleidung“ dieses Stammes im Hochland von Papua war, fühlte ich mich nun doch etwas unsicher, mit der Kamera vor ihn hin zu stehen und abzudrücken. Im Gegensatz zu mir nahm er es sehr gelassen und bat anschließend ganz bescheiden um fünftausend Rupien, soweit war man hier eben schon an Touristen gewöhnt.
Der erste Teil unserer heutigen Etappe führte sehr steil und rutschig hinab ins Tal, wo wir den Baliemfluss auf einer wackeligen aber insgesamt ausreichend soliden Hängebrücke überquerten.
Weiter auf sehr rutschigen Pfaden konnten wir unterwegs beim Bau einer Kirche zuschauen. Wie fast überall auf der Welt, sollte die Kirche das mit Abstand größte Gebäude des ganzen Dorfes werden und hätte nach ihrer Fertigstellung bestimmt auch noch die Bewohner der Nachbardörfer mit aufnehmen können. Beeindruckend an der Kirche war aber weniger ihre Größe, sondern vielmehr die Tatsache, dass fast alle Bewohner des Dorfes beim Bau mithalfen und die benötigten Materialien oft mehrere Kilometer weit auf dem Rücken zur Baustelle schleppten. An einer weiteren Brücke trafen wir auf eine Gruppe Einheimischer, die unterwegs auf dem Weg zum Markt in Wamena waren.
Sie hatten geröstete Nüsse dabei, von denen wir einige abkauften und am Ufer des Flusses unter uns aufteilten. Die Träger hatten einen großen Spaß, als sie fröhlich wie Kinder im Fluss badeten. Nach fast fünf Stunden erreichten wir Syokosimo, wo wir in ähnlichen Hütten wie zuvor in Kilise untergebracht wurden. Auch hier war ich der einzige Tourist, der größte Unterschied zum vorhergehenden Dorf war, dass es hier kein Wasser gab. Wer sich unbedingt waschen wollte, musste zum Fluss gehen, der nicht besonders einladend wirkte, da an seinem Ufer viele Schweine den Boden umgruben.
Jonas fragte mich, ob ich mir im Dorf das House of Treasury, das Schatzhaus ansehen wollte und weil ich gerade nichts anderes zu tun hatte, machten wir uns auf den Weg. Wir mussten steil den Abhang hochsteigen bis wir zu einigen Hütten inmitten sorgfältig angelegter und gepflegter Süßkartoffelfelder kamen. Bei unserer Ankunft kam ein nackter Eingeborener freudestrahlend aus einem der Felder und umarmte erst begeistert Jonas und danach auch mich. Das Kerlchen reichte mir gerade bis zur Brust und machte einen sehr zerbrechlichen Eindruck, er wog bestimmt kaum fünfzig Kilo. Das kam davon, wenn man sich überwiegend durch Gemüse ernährte. Bereitwillig lud er uns ein, mit ihm in die Hütte zu kommen.
Der Eingang war so niedrig, dass ich auf Knien hinein rutschen musste, drinnen war es dunkel, die Wände und die sehr niedrige Decke glänzten schwarz, in der Hütte roch es intensiv nach geräuchertem Speck. In der Mitte der etwa sechs Meter großen runden Hütte befand sich eine Feuerstelle, deren Rauch nur durch eine Luke ins Obergeschoß entweichen konnte, wo auch die Schlafplätze für die Männer lagen. Im Raum wurden die Schätze des Dorfs aufbewahrt. Da waren zunächst einmal die Schweinefüße, die von jedem getöteten Schwein aus rituellen Zwecken gesammelt wurden. Die Dani glauben, dass sie die ihnen von der Natur gewährten Schweine auf diese Weise ehren mussten, um sich auch weiterhin die Freizügigkeit der Berge und deren Geister sichern zu können. Weitere Schätze waren natürlich die Waffen des Dorfes, die zur Jagd, insbesondere aber für kriegerische Auseinandersetzungen mit Nachbardörfern benötigt wurden. Neben Pfeil und Bogen waren dies vor allem sehr lang runde Speere mit Holz- oder Steinspitzen. Die aus praktischer Sicht wahrscheinlich wichtigsten Schätze waren aber handgebastelte Steinäxte und Armbändchen sowie Eberzähne, die als Souvenirs verkauft werden sollten. An dieser Stelle war es selbstverständlich kaum möglich, nichts zu kaufen, so entschied ich mich für eine kleine Steinaxt für 50.000 Rupien, blieb aber hartnäckig, was das weitere Angebot anging. Der Dani versuchte noch, mir einen gebogenen Eberzahn anzudrehen und demonstrierte wie schön es aussah, wenn man sich den Zahn durch die Nase zog. Das wollte ich nun wirklich nicht, worauf er den Zahn wieder herauszog und ohne ihn abzuwischen bei den anderen Gegenständen verschwinden ließ. Wer weiß, wie oft dieser Eberzahn schon durch verschiedene Nasen gezogen worden war.
Am Rückweg zu unseren Gästehütten machten wir noch einen Halt in einem Küchenhaus, wo eine Danifrau gerade das Abendessen vorbereitete. Die Frau hatte ziegelsteingroße Felsbrocken in einem offenen Feuer erhitzt und schichtete diese nun in eine Mulde im Fußboden der Hütte. Auf diese heißen Steine kamen in mehreren Schichten Blätter, Rüben und Süßkartoffeln, die das Lieblingsgemüse der Dani darstellten. Dazwischen und oben als letzte Lage kamen Bananenblätter und weitere Steine, danach musste das ganze etwa eine Stunde garen bis es zum Verzehr fertig war. Am Rand der Mulde entdeckte die Frau zwei Süßkartoffeln, die vom letzten Garvorgang übrig geblieben waren und gab sie uns zum Versuchen, sie schmeckten tatsächlich wie süßliche Kartoffeln mit einem leicht rauchigen Geschmack am Rand. Es war danach gut nachvollziehbar, warum die Dani diese Kartoffeln so liebten.
Am Abend dieses Tages hatten wir etwas mehr Zeit, denn obwohl es in Syokosimo außer einem einfachsten Toilettenhäuschen keine Sanitäranlagen gab, hatte man in den Gästehütten elektrische Beleuchtung installiert. Nun war es natürlich nicht so, dass jemand eine Überlandleitung zum Dorf gelegt hatte, doch einzelne High Tech Einrichtungen hatten doch schon ihren Weg in diese entlegene Gegend der Welt gefunden. Ein kleines Solarpanel erzeugte im Laufe des Tages so viel elektrische Energie, dass damit einige Glühbirnen für ein paar Stunden am Abend betrieben werden konnten. Erst um neun ging das Licht aus. Wenngleich das elektrische Licht in diesem Moment sehr angenehm war, stellte sich schon die Frage, wie unberührt die Eingeborenenstämme noch waren und in nächster Zukunft noch bleiben würden. Es war ein schwieriger Balanceakt zwischen moderner Entwicklung und ursprünglicher Tradition, den am Ende die Tradition wohl verlieren wird.
Tags darauf wanderten wir zunächst weiter aufwärts dem mit starker Strömung tosenden Fluss Baliem entlang. An einer sehr abenteuerlichen Brücke aus Baumstämmen und Ästen, deren Geländer in der Mitte des Flusses gerade mal auf Höhe meiner Knie verlief, überquerten wir den Strom. Als ich Jonas fragte, ob es an den Brücken und Wegen am Fluss viele Unfälle gab, schaute er mich nur verständnislos an und meinte, sie wären doch gut ausgebaut, warum solle es da Unfälle geben. Wenig überzeugt und weiterhin vorsichtig, um ja nicht in das reißende Wasser zu fallen, gingen wir weiter und begannen bald darauf einen sehr steilen und anstrengenden Anstieg, der erst nach einigen hundert Höhenmetern im Dorf Hitugi endete. Nach Angaben des Reiseveranstalters hätten wir hier schon das Tagesziel erreicht, doch Jonas empfahl, noch bis zum nächsten Ort weiter zu gehen um am nächsten Tag keine so lange Strecke vor uns zu haben. So besichtigten wir Hitugi kurz, das wunderschön auf einer Hochebene lag und wie die anderen Dani Dörfer im Wesentlichen aus runden und einigen rechteckigen mit Gras bedeckten Holzhütten bestand.
Die meisten Einwohner waren um diese Zeit auf den Feldern oder unterwegs in andere Orte, so dass wir nur einen einzigen Bewohner fanden, der uns kurz erklärte, dass er die traditionelle Kleidung, also keine Kleidung, nie im Leben ändern würde, auch wenn viele der jüngeren Leute heute immer mehr in Hosen und T-Shirts gingen. Eigenartig, wie auch hier der Unterschied zwischen den Generationen sichtbar wurde, insofern hatte sich in den sogenannten hochentwickelten Zivilisationen seit der Steinzeit gar nicht so viel Grundsätzliches verändert.
Hitugi war geographisch auch Wendepunkt der gesamten Wanderung, von hier aus gingen wir hoch über dem Tal auf jetzt relativ breiten und angenehm zu gehenden Wegen zurück in Richtung Wamena. Nach insgesamt sechs Stunden Wanderzeit erreichten wir das sehr einfache und sehr kleine Dorf Hugem. Hier war der Fußboden meiner Hütte nur mit ganz wenig Stroh bedeckt, was eine unbequeme Nacht versprach. Trotz der dünnen Isomatte, die einer der Träger für mich ausgelegt hatte, war ein erholsamer Schlaf nicht möglich. Es regnete, es war kalt, wir befanden uns schließlich auf über zweitausend Meter Höhe und die Nacht war sehr lang, da das einzige bisschen Licht, das uns nach Sonnenuntergang zur Verfügung stand, von einigen wenigen Kerzen gespendet wurde.
Die Mannschaft erzählte mir am nächsten Morgen, auch sie hätten gefroren und mitten in der Nacht ein Feuer im Küchenhaus gemacht, um sich daran zu wärmen. Nur ich hatte davon nichts mitbekommen. Am letzten Tag unseres Trekkings durch das Baliemtal wanderten wir recht gemütlich und entspannt bei sehr schöner Aussicht fast ständig leicht bergab unserem Ausgangspunkt entgegen. Als wir unten im Tal angekommen waren, mussten wir ein letztes Mal auf abenteuerliche Weise einen Fluss überqueren, nur dass diesmal überhaupt keine Brücke vorhanden war. Einige kleinere Bäume waren so ins Wasser gelegt worden, dass wir an ihnen etwas Halt und Orientierung finden konnten, den restlichen Weg mussten wir vorsichtig tastend selbst suchen, wobei wir versuchten, nicht tiefer als bis zu den Oberschenkeln ins Wasser zu kommen. Spannend und knifflig war diese Durchquerung vor allem deswegen, weil ich in einer Hand die Kamera und in der anderen Hand meine Schuhe tragen musste und beides sollte unter allen Umständen trocken bleiben.
Nach einer weiteren Stunde erreichten wir die Straße, wo wir großes Glück hatten, bald eine Mitfahrgelegenheit in einem der Minibusse zu finden, wodurch uns eine sehr lange Wanderung auf geteerten Wegen erspart blieb. Besonders schön war, dass unser Fahrer sich und seinem Fahrzeug einiges zutraute und zweimal eine Stelle durchfuhr, die wir beim Hinweg nicht mit den Autos passiert hatten. Er bat uns nur, jeweils auszusteigen und die hundert Meter über den Erdrutsch, sowie über die wacklige Holzbrücke zu Fuß zurück zu legen.
So kamen wir recht schnell wieder nach Wamena, wo wir das letzte Stück zum Hotel mit einer Fahrradrikscha zurücklegten. Während ich hier endlich wieder duschen konnte, es gab sogar heißes Wasser, musste Jonas noch auf dem Markt ein Schwein kaufen, das wir am nächsten Tag dem Dani-Stamm in Anemogi mitbringen wollten.
Den Weg nach Anemogi und Jiwika legten wir am nächsten Morgen mit einem Allradfahrzeug zurück, mit dem wir etwa zwanzig Kilometer in nördlicher Richtung aus Wamena hinaus fuhren. Zuerst besuchten wir Jiwika, ein sehr typisches Dorf der Dani, bei dem das Männerhaus am dem Eingangstor gegenüberliegenden Ende des Ortes lag, links des Dorfplatzes war eine Reihe Hütten für Frauen und Kinder, rechts sahen wir die Küchenhäuser und Ställe. Auch hier waren alle Gebäude aus Holz gebaut und mit Gras gedeckt.
Im Männerhaus von Jiwika wurde als Besonderheit die Mumie des ersten Häuptlings dieses Stammes aufbewahrt, die inzwischen mehr als 250 Jahre alt war. Sie wurde auch heute noch bei schwierigen Entscheidungen für das Dorf zu Rate gezogen. Die Mumie, die immer noch ihre geschrumpelte Kürbishülse als Penisfutteral trug, sah ziemlich gruselig aus, auch wenn sie für ihr Alter aus erstaunlich gut erhalten war.
Von Jiwika gingen wir zu Fuß zum ungefähr einen bis zwei Kilometer entfernten Anemogi, wobei das Weiterkommen wegen des tiefen Schlammes teilweise nur schwer möglich war. Kurz vor dem Dorf wurde auf einer Wiese ein Schaukampf vorgeführt. Der Häuptling der Heimmannschaft kletterte auf einen Aussichtsbaum, von wo er seinen Kriegern Befehle erteilen konnte. Durch das hohe Gras schlichen sich die Angreifer mit Pfeil und Bogen an, bis sie durch Krieger aus dem Dorf mit sehr langen Speeren wieder vertrieben wurden. So ging das einige Male munter hin und her, wobei sich die gegnerischen Gruppen wechselseitig über die Wiese jagten, bis sich eine der Mannschaften als Sieger fühlen durfte, nach meiner Beobachtung musste es sich dabei um die Truppen Anemogis gehandelt haben. Nach einem kurzen Palaver, an dem auch der Häuptling wieder teilnahm zogen alle Krieger gemeinsam mit uns zum Dorf, um dort das Schweinefest zu beginnen. Es begann mit einem Tanz, an dem fast die gesamte Bevölkerung Anemogis zu einem wie es mir schien frei gewählten Rhythmus teilnahm.
Am Ende des Tanzes trat der Häuptling vor und alle nahmen Aufstellung während das Schwein unter lautem Quieken auf den Dorfplatz gebracht wurde. Zwei Krieger packten das Schwein an Ohren und Hinterläufen und hielten es zwischen sich hoch. Sie verkrampften sichtbar und hielten das Schwein so weit wie möglich von sich entfernt, als der Häuptling sich mit Pfeil und Bogen in Position brachte, um das Tier zu erschießen. Ein kurzes Anlegen, spannen der Sehne und schon traf der Pfeil so fachgerecht ins Ziel, dass das Schwein nur noch einen letzten lauten Quieks abgeben konnte, bevor sehr schnell Ruhe einkehrte.
Sofort kamen die Hunde, die sich schon vorher auf die Lauer gelegt hatten und begannen das Blut zu lecken, das aus der Wunde sickerte. Sie wurden zwar kurz weggescheucht, kamen aber immer wieder und bekamen letztendlich ihren Anteil vom Schweinefest. Jetzt begannen die eigentlichen Vorarbeiten zur fachgerechten Zubereitung des Festmahls, wobei ich mir in Anbetracht der hygienischen Verhältnisse nicht sicher war, ob ich daran wirklich gerne teilnehmen wollte. Ein Feuer wurde entfacht und mit Steinen kunstvoll abgedeckt, so dass nachher genügend Hitze für den Garvorgang zur Verfügung stand. Entzündet wurde das Feuer ebenfalls auf traditionelle Art, indem eine Bambusschnur so kräftig durch die Kerben eines geschnitzten Holzstabs gezogen wurde, dass dort kleine Funken entstanden, die ein Büschel trockenes Gras in Brand setzten. Das gehörte natürlich zur reinen Show, zum Anzünden ihrer Zigaretten verwendeten auch die Dani Streichhölzer. Währenddessen war das Schwein auf Gräser und Blätter gelegt worden um Ringelschwanz und Ohren mit einem Bambusmesser abzuschneiden. So vorbereitet kam es ins Feuer, wo die Borsten abgesengt wurden.
Das alles dauerte natürlich eine ganze Weile, während der ich Zeit hatte, mich gründlich umzuschauen. Anemogi war im Grunde genauso aufgebaut wie Jiwika, das wir davor besucht hatten, nur dass hier die Frauenhäuser vom Eingang her gesehen rechts lagen und dass links die Küchenhäuser waren. Es gab auch einen kleinen Marktstand, wo Bewohner der Nachbardörfer Gemüse kaufen konnten.
Mir war aufgefallen, dass bei den älteren Dani-Frauen oftmals die Hände verstümmelt waren, was auf einen alten Brauch des Stammes zurückging. Beim Tod eines nahen Angehörigen wurden den Frauen Finger abgehackt als Zeichen des Mitfühlens mit dem Verstorbenen. Je nach Verwandtschaftsverhältnis konnten bis zu vier Finger auf einmal geopfert werden, was zum Beispiel beim Tod des Ehemannes die Regel war. Für unsere Zivilisation schien dieser Brauch natürlich sehr unverständlich, hier bei den Dani störte sich dagegen niemand daran. Zwar war das Abtrennen der Finger seit einigen Jahren offiziell verboten, doch waren auch hier Glaube und Riten so tief verwurzelt, dass sich bisher kaum jemand davon abbringen ließ. Man sagte mir, dass den Männern bei einem solchen Todesfall Teile des Ohres abgeschnitten wurden, was ich aber während der Reise und auch beim späteren Durchsehen der Fotos nicht beobachten konnte.
Eine Gargrube wurde vorbereitet und mit Bananenblättern und heißen Steinen ausgelegt. Darauf kamen Schichten aus Rüben, Süßkartoffeln und immer weiteren Blättern und Steinen. Das Schwein, das in der Zwischenzeit mit Bambusmessern aufgeschnitten und ausgenommen worden war, kam als letztes oben darauf, wurde ebenfalls mit Blättern und einer abschließenden Schicht heißer Steine bedeckt und konnte jetzt während der nächsten drei Stunden langsam durchgaren.
Das war nun auch der Punkt, an dem es Zeit wurde, dass wir uns wieder verabschiedeten. Wie schon vorher geschrieben, war ich nach dem Zuschauen bei der Zubereitung ganz froh, kein Risiko einer Infektion eingehen zu müssen, obwohl natürlich das Erlebnis durch ein gemeinsames Essen des mitgebrachten Schweinchens mit den Eingeborenen noch intensiver gewesen wäre. Wir besichtigten noch eine kleine Höhle in der Nähe, in der sich die Dorfbewohner im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen manchmal bis zu einigen Monaten versteckten.
Am nächsten Morgen begann die lange Rückreise mit dem Flug von Wamena nach Jayapura, bei dem zum ersten und einzigen Mal nicht einmal der Versuch einer Sicherheitskontrolle gemacht wurde. Niemand konnte sich offensichtlich vorstellen, dass Terroristen ausgerechnet in Wamena an Bord eines Flugzeugs gehen sollten. Da der Weiterflug aus Jayapura erst am nächsten Tag erfolgte, machten wir eine kleine Rundfahrt durch die Umgebung, die nach dem vorher erlebten nicht mehr so richtig punkten konnte. Es war nicht mehr als ein netter Zeitvertreib, als wir bei leichtem Regen die verschiedenen Aussichtspunkte besuchten. Auch der nächste Tag war sehr lang, verbrachte ich doch wieder mehrere Stunden am Flughafen von Makkasar. Die Flugverbindungen zu und vom Ende der Zivilisation waren eben nicht so häufig, dass direkte Anschlüsse möglich gewesen wären.
Nach einer letzten Übernachtung in einem guten Hotel direkt am Strand von Bali trat ich am Sonntag den Rückflug über Kuala Lumpur an. Überschattet wurde meine pünktliche und ohne Beeinträchtigung durch die Aschewolke verlaufende Heimreise massiv dadurch, dass mein Verdauungstrakt ab dem Zwischenstopp in Malaysia zu rebellieren begann und mir die zwölfstündige Langstrecke einigermaßen unangenehm gestaltete. Was für ein Glück hatte ich doch, dass während der gesamten Reise, vor allem wegen des Trekkings, keinerlei Probleme aufgetreten waren, so war diese kleine Einschränkung letzten Endes ziemlich entspannt zu ertragen gewesen.